Hier ein Bericht über mich, veröffentlicht in der Sächsischen Zeitung, Lokalteil Zittau vom 04.09.2014:


 

Bewegend anders

Die medienwirksame Ice Bucket Challange hilft Menschen mit ALS. Die Zittauerin Angelika Hauffe leidet an dieser Krankheit.

Es klackt geschäftig, ist bis vors Haus durch das aufgeklappte Fenster zu hören. Drinnen wandern Angelika Hauffes Augen flink über den einen von zwei großen Flachbildschirmen, die über ihrem Bett angebracht sind. Ihr gesamter Körper liegt bewegungslos, die Arme sind aufgedeckt und liegen unbeweglich daneben. Fixiert Frau Hauffe einen Buchstaben auf der digitalen Tastatur des Computerbildschirms, klackt es und er erscheint auf dem Eingabefeld darüber. So reiht Frau Hauffe Buchstabe an Buchstabe, Wörter werden zu Sätzen. Dann geht ihr Blick auf die „Sprich“-Taste. „Schön, dass Sie da sind“, ertönt es im Raum, als würde sie selbst sprechen, wenn auch mit Computerstimme. Das herzliche Lächeln dazu kommt von Frau Hauffe direkt.

Dieser augengesteuerte Computer sei „ein riesengroßer Segen“, erzählt die frühere Vorstands- und jetzige Ehrenvorsitzende des Zittauer Stadtchores. Er gebe ihr ein wertvolles Stück Selbstständigkeit, auf das sie sonst auch noch komplett verzichten müsste. Denn die 62-Jährige lebt seit elf Jahren mit ALS, dieser Krankheit, die derzeit durch die Spendenkampagne ALS Ice Bucket Challenge (zu deutsch ALS-Eiskübel-Herausforderung) als Thema durch viele Medien geht. Dabei werden Personen, darunter auch viele Prominente, nominiert, für die Erforschung der Krankheit zu spenden oder sich einen Eimer mit Eiswasser über den Kopf zu gießen. Einige verzichten auf das Eis und spenden nur, viele tun beides. So richtig bekannt wurde die Aktion erst in diesem Sommer in den USA und schwappte durch Internetvideos schnell nach Europa. Innerhalb kurzer Zeit gingen bei der ALS Association bis Ende August reichlich 94 Millionen Dollar ein, die ALS-Ambulanz der Charité in Berlin meldete am 2. September einen Spendenstand von 1 037 000 Euro.

Was da weltweit gerade passiert, freut Angelika Hauffe im kleinen Eichgraben natürlich. „Die ursprüngliche Idee finde ich sehr gut, und die Aktion ist unglaublich“, sagt sie. „Trotzdem ist das Eiswasser nicht das eigentliche Highlight.“ Die Resonanz ist groß, aber die Krankheit sei mit 6000 bis 8000 Patienten in Deutschland noch sehr unbekannt, so Frau Hauffe – auch unter den hiesigen Ärzten. „Das Schlimme war, dass ich drei Jahre ohne Diagnose war“, erzählt sie.

Nachdem die Beschwerden 2003 damit beginnen, dass Frau Hauffe einen Fuß nicht mehr richtig heben kann, muss sie bald einen Gehstock, dann einen Rollator nutzen und schließlich im Rollstuhl sitzen. Nach langer Unklarheit lautet der Befund im Jahr 2006: Amyotrophe Lateralsklerose, ALS. Eine chronische und fortschreitende Erkrankung desjenigen Teils vom zentralen Nervensystem, der für die willkürliche Steuerung der Skellettmuskulatur verantwortlich ist. Noch kann sie Arme und Hände bewegen, ihr Mann Wolfgang bringt sie jeden Tag im Rollstuhl zum Salzhaus, wo sie noch fünf Stunden am Tag als Sachbearbeiterin für den Landkreis arbeitet. Am 26. September 2008, das Datum weiß sie noch genau, muss sie aufhören. Ihre Atemkapazität beträgt 17 Prozent und fesselt sie ans Bett. Die kurz darauf verordnete Atemmaske wird 2010 durch Luftröhrenschnitt und Beatmungsgerät ersetzt. Seit 2008 wird Angelika Hauffe zu Hause durch ein Team intensivgepflegt, zunächst zehn, dann 20, jetzt 24 Stunden. Neben dem Atmen wird auch das Essen zur Herausforderung, Frau Hauffes Gewicht sinkt auf 45 Kilo. Im Juni 2012 entscheidet sie sich für die künstliche Ernährung durch eine Magensonde. „Das Geniale ist, dass ich geistig komplett fit bin“, sagt Frau Hauffe. Deswegen konnte sie all diese Entscheidungen selbst treffen.

Sie haben alles richtig gemacht, sind sich Angelika und Wolfgang Hauffe mit Madlen Putzmann vom Pflegeteam einig. „Viele lehnen die Geräte ab“, berichtet der Ehemann, aber das solle man sich wirklich überlegen. „Ohne künstliche Beatmung wäre ich schon sechs Jahre nicht mehr“, ergänzt Frau Hauffe. Sechs wertvolle Jahre, „denn das Leben ist zu wertvoll“, sagt sie. So sieht sie ihre Enkel heranwachsen – das Babyfoto von Nele, der Jüngsten, schmückt den zweiten Flachbildschirm – und verfolgt die berufliche Entwicklung ihrer beiden Söhne. Das möchte Frau Hauffe auf keinen Fall missen, genauso wie die ersten Morgenstunden am Frühstückstisch, wenn sie sogar noch selbst sprechen kann. Den täglichen Mini-Ausflug raus in den Garten, „eine rauchen“, witzelt die Liebhaberin des schwarzen Humors. Nein, wo Hund Fine ihr seine Show mit dem Ball vorführt. Und die vielen anderen Lacher, hinter denen oftmals sie selbst steckt. „Was würde es nützen, wenn ich den ganzen Tag schlechte Laune hätte?“, fragt sie. Passend dazu hat sie Charlie Chaplins Motto auch zu ihrem gemacht: „Ein Tag ohne Lächeln ist ein verlorener Tag“.

Der Spruch hängt sowohl in ihrem Zimmer an der Wand als auch über ihrer Homepage. Auf dieser erzählt Angelika Hauffe über das Leben mit ALS, informiert und berät Interessierte und Betroffene zu Facheinrichtungen, Pflegemöglichkeiten, technischen und anderen Hilfsmitteln für mehr Lebensqualität, mehr Selbstbestimmtheit, trotz dieser schweren Krankheit. „Ich möchte Menschen Mut machen, ihr Leben, egal unter welchen Umständen, zu meistern“, tippen ihre Augen auf den Bildschirm. Ein bisschen müde schon; für heute ist es genug. Auf alle Fälle, das sagt sie aber noch, sei es wichtig, dass ALS durch die Eiskübel mehr im Fokus steht. Das dadurch gespendete Geld soll der Forschung zu weiteren Erkenntnissen über die Krankheit verhelfen. Bis dahin und überhaupt bleibt eine der wichtigsten Voraussetzungen für ein möglichst langes Leben mit ALS vermutlich eine so offene und positive Einstellung einer Angelika Hauffe aus Eichgraben.

Bildunterschrift: Ohne ihren Ehemann Wolfgang, ihre Familie, ihr sechsköpfiges Pflegeteam und 
auch alle Freunde und Bekannte, die ihr zur Seite stehen, ginge gar nichts, sagt die seit elf 
Jahren an ALS erkrankte Angelika Hauffe. Deshalb ist sie ihnen unendlich dankbar.