JULI 2011
"Ein Kluger bemerkt alles, ein Dummer macht über alles seine Bemerkungen"
(Heinrich Heine)
25. - 31. 07. 2011
Der Start in die neue Woche beginnt für uns mit einem sehr mulmigen Gefühl. Flecki ist seit Sonntagnachmittag unterwegs und lässt sich erstmals auch abends nicht blicken. Wolfgang und ich schlafen deshalb ziemlich unruhig. Auch am nächsten Vormittag keine Spur von ihr. Wolfgang läuft unser Wohnviertel ab, auch erfolglos. Am zeitigen Nachmittag kommt sie etwas verschmutzt und nach Motorenöl duftend angelaufen. Ach, sind wir froh, dass ihr nichts weiter passiert ist. Wir nehmen an, dass sie irgendwo eingesperrt war.
Zum Montag ist Cindy gut erholt aus dem Urlaub zurück und da haben wir, wie kann's anders sein, viel zu erzählen. Zunächst erzeuge ich mit meinem neuen T-Shirt bei ihr einen großen Lacher. Als Cindy meine Bettdecke zurück schlägt, springt ihr die Aufschrift "HETZ MICH NICHT" entgegen...
Wegen meiner Halsstütze ist Herr D. mit weiteren Exemplaren vor Ort, doch optimal ist auch hierbei keine. Schließlich wird uns der Vorschlag für einen Rollstuhl mit körperangepasster Sitzschale und entsprechender Kopfstütze und Halterung per Stirnband unterbreitet. Zum Beispiel: http://katalog.gelbart.ch/default.asp?MenuID=227&schleife=1 Das wäre dann wirklich eine Komplettlösung und nicht nur eine halbe Sache. Hoffentlich spielt die Krankenkasse mit!!!
Sehr lange hatte ich mir es schon vorgenommen und am Dienstag konnten wir es endlich wahr machen. Seit knapp 3 Jahren war ich das 1. Mal wieder auf meiner ehemaligen Arbeitsstelle, in der Außenstelle des LRA im Salzhaus. Meine früheren Mitstreiter habe ich mit meinem Besuch ganz schön überrascht... Für mich war es ein sehr schönes Wiedersehen! Cindy war begeistert von dem herrlichen Blick über Zittau, den der gläserne Fahrstuhl am Salzhaus den Besuchern bietet. Im Anschluss an unseren Aufenthalt im Hoch- und Tiefbauamt kehrten wir noch in der Moccabar ein. Das ist immer wieder ein kulinarischer Genuss im passenden Ambiente.
Mittwochnachmittag vertreiben mir Susanne und Gudrun die "Langeweile". Susanne schien sich vorgenommen zu haben, mich betrunken zu machen. Ihre Eierlikörtorte hatte es in sich und schmeckte mm... Seit 5 Monaten istTom wieder mal bei mir zum Tagdienst eingeteilt. Er meistert es als wäre er nie woanders gewesen. Darüber freue ich mich sehr, denn nichts ist schlimmer, wenn jedes Mal wieder von vorn angefangen wird. Da das Wetter mitspielt, nutzen wir die Ergotherapie und bewegen uns Richtung Eichgrabener Wald. Bei dieser Gelegenheit konnte ich den neuerrichteten Waldparkplatz in Augenschein nehmen. Er ist hübsch gestaltet mit 16 Stellflächen und Rastplatz. Über dessen Notwendigkeit würde ich mich streiten. Da ca. 800 m entfernt direkt an der S 132 (Lückendorfer Straße) bereits ein Parkplatz besteht, der kaum belegt ist. Dagegen ist der internationale Wanderweg Richtung Hartau/Hradek in einem so schlechten Zustand, dass er sich mit Kinderwagen und gar noch mit Rollstuhl nicht mehr nutzen lässt. Mit den knapp 50 T€ wäre eine Instandsetzung eines Teilabschnittes realisierbar gewesen. Schon irgendwie ärgerlich...
Das verregnete Wochenende lässt mich lediglich kurz Luft vor der Haustür schnappen. Als Ausgleich hat uns Cindy kulinarisch verwöhnt. Unter meinen dummen Bemerkungen wurde in der Küche gebrutzelt und gebacken. Der sogenannte Tassenkuchen oder auch Buttermilch-Kokoskuchen ist gut gelungen und wird von keinem verschmäht. Angeregt von Susannes Eierlilikörkuchen, bin ich auf den Geschmack gekommen und erlabe mich an Kaffee holländisch, d.h. ein Schuss Eierlikör im Kaffee. Oh ist das süffig!
18. - 24. 07. 2011
Wolfgang vergnügt sich in Dresden und erstattet mir telefonisch Bericht über seine Erlebnisse. Luis hat sich besonders gefreut, dass der Opa mit Fußball gespielt hat im Großen Garten. Bei mir fliegt am Nachmittag der Orthopädiemeister vom Sanihaus ein mit einem anderen Modell einer Halsstütze. Diese ist zwar besser als die anderen, aber auch noch nicht das Gelbe vom Ei. Dank eines ALS-Patienten erhalte ich einen Link für eine weitere Stütze, bei der als Indikation ALS angegeben wird, habe ich gleich weitergeleitet. Nun mal abwarten, was zum Schluss raus kommt.
In der Nacht zu Montag habe ich plötzlich blutiges Sekret. Mir geht etwas die Muffe, da ich es so noch nicht hatte. Tom meint, es könnte eine Verletzung der Schleimheit durch ein Absaugkatheter sein und Markus entscheidet sich für Abwarten. Derweil google ich nach Lösungen bzw. Empfehlungen und werde auch schnell findig. Es wird geraten mit NaCl zu inhallieren. Na, nichts leichter als das... Zwei Tage später ist mein Sekret wieder glasklar - beruhigt mich sehr! Überhaupt scheint eine gewisse "Sommerstaupe" meinen Körper aushebeln zu wollen. Neben Kopf- und Gliederschmerzen macht mein Kreislauf am Dienstag am Frühstückstisch schlapp. Markus legt mich gleich ins Bett und lagert meine Beine hoch. Kurze Zeit später ist alles vergessen. Gegen 15.00 Uhr trudelt Wolfgang wieder in der Provinz ein und so haben wir einigen Gesprächsstoff zu bewältigen. Ich glaube am meisten haben ihn unsere Vierbeiner vermisst, die schwänzeln um ihn herum, da könnte ich direkt neidisch werden!?!
Besuch vom Chor hat sich für Mittwoch angesagt. Dieses Mal darf ich mich auf Ute Z. freuen, die in ihrem Urlaub Zeit für mich eingeplant hat. Finde ich ganz Klasse! Es gibt viel zu plaudern, natürlich interessiert mich immer vordergründig, wie es dem Chor geht. Sozusagen vom "Schuleintritt" (1989/90) bis zum 25. Jahr des Bestehens (2008) habe ich als Vereinsvorsitzende des Stadtchores Zittau organisatorisch die Fäden gezogen und so die Entwicklung der "Truppe" hautnah miterleben können. Dadurch kann ich nicht so einfach abschalten, manchmal juckt's mich schon tüchtig und ich würde gerne aktiv mitwirken wollen... - scheiß ALS!!!!!
Inzwischen hat sich meine "Staupe" wieder verzogen, wer weiß, wen sie jetzt ärgert, mich zum Glück nicht mehr.
He, hab' ich noch ein Durchhaltevermögen, das überrascht mich selbst! Wir waren am Freitag zum "100."Geburtstag, d.h. zwei Chormitglieder luden zu ihrem 50. ein. Gemeinsam mit Wolfgang und Markus erreichten wir pünktlich um 19.00 Uhr in Hartau die Festivität. Schön endlich wieder mitten drin zu sein und mit feiern zu können. Als ich kurz vor Mitternacht wieder in meinem Bett lag, konnte ich es kaum glauben, dass es schon so spät ist. Es war ein wunderschöner Abend, danke nochmals den beiden Jubilaren!
11. - 17. 07. 2011
Unser Luis feiert seinen 3. Geburtstag. Wir telefonieren abends zusammen, er ist ziemlich geschafft von den vielen Erlebnissen des Tages. Mit Lea und Rüdiger fahren wir nach Zittau ins "Dornspachhaus", um zu abendbroten. http://www.dornspachhaus.de/ Der Himmel hat sich aufgelockert und wir können im Freien sitzen, sehr angenehm und gemütlich!
Der Dienstag ist wieder ziemlich voll gepackt, aber trotzdem sehr schön. Pünktlich um 9.30 Uhr schwebt Josie von Dresden ein, um den Kanülenwechsel bei mir mit Christine durchzuführen bzw. ihr zu zeigen. Klappt alles ohne Probleme. Anschließend sitzen wir alle im Garten beim Frühstück zusammen und lassen uns gleichzeitig von den Sonnenstrahlen zum Schwitzen bringen. Zu Mittag fährt Rüdiger Lea zum Bahnhof, denn sie möchte auch noch paar Tage bei sich zu Hause in Kleinmachnow verbringen. Als um 14.00 Uhr Astrid zur Ergotherapie eintrifft, habe ich den Wunsch, meinen E-Rollstuhl endlich mal wieder zu benutzen. Gesagt, getan! Astrid, Josie, Christine und Wolfgang fassen beim Umsetzen vom Pflegerollstuhl in den E-Rolli zu und ruckzuck sitze ich majestätisch drin. Da ich die Fernbedienung leider nicht mehr selbst bedienen kann, ist diese jetzt so angebracht, dass die Begleitperson diese steuert. Astrid am Steuer, so ziehen wir Weiber einschließlich Biene durch unser Wohnrevier.
"Wissbegierige" Menschen lauern uns sofort auf..., immer wieder amüsant! Abends bin ich dann ziemlich ausgelaugt, die Stimme ist mehr wie dünn und mein Kopf macht, was er will. Christine hat es äußerst schwer, ihn in Schach zu bekommen, damit ich das Abendessen noch verspachteln kann. Es dauert zwar alles etwas länger, aber wir schaffen es.
Ja, ich hatte es schon erwähnt, dass die ALS ihre Macht über meinen Körper weiter ausweitet und so hat sie nun meinem letzten Finger die Beweglichkeit genommen und da kann man machen nix! Aber ich habe konstruktive Köpfe um mich, die sich Gedanken über andere Möglichkeiten machen, wie ich die Klingel bedienen kann. So bastelte zunächst Sebastian ein Provisorium, welches ich durch leichte seitliche Kopfbewegung bedienen konnte. Das war noch nicht das Ideale und so kam mir die Idee, mein Kinn zu nutzen. Rüdiger setzte meinen Gedanken um und nun kann ich durch Öffen des Mundes, die Klingel in Gang bringen. Einziger Nachteil: Wenn ich gähne, gibt's Fehlalarm - also GÄHNVERBOT!!! (Unter der Rubrik "Hilfsmittel" ist die Neuerung abgebildet).
Am Donnerstag durfte ich zunächst genießen von zwei jungen Männern (Markus + Rüdiger) geduscht zu werden. Soviel Service habt ihr, liebe Leser, wahrscheinlich nicht, ätsch, aber ich! Nachmittags besuchten wir das Grab meiner Eltern auf dem hiesigen Krematorium. Ich empfinde dabei stets große Traurigkeit, insbesondere darüber, dass in Deutschland Friedhofspflicht besteht. In der Schweiz und auch in Ausnahmefällen in Österreich gibt es diese nicht, sodass man die Urne z. B. im eigenen Garten aufbewahren kann. Wäre für mich eine große Erleichterung, zumal mein Vater bereits zu Lebzeiten, solche Möglichkeiten favorisierte. Ja Vati, deutsche Gesetze sind nach wie vor ganz schwer reformierbar.
Mein persönliches Erscheinen im Sanitätshaus erzeugte dort zunächst große Freude, kehrte sich allerdings im Rahmen langwieriger Gespräche mit verschiedenen Mitarbeitern bei mir in Frust um. Was war geschehen? Es geht um meine beantragte Halsstütze (Cervicalstütze), die von der Stange bei mir nicht passt, weil ich eben kein TGL-gerechtes Kopf- und Halsmaß habe. Solche Abnormitäten sollte man auch in der Marktwirtschaft nicht vorweisen. Ergebnis meines Besuches: Große Ratlosigkeit ringsum! - 2. persönliches Erscheinen nächsten Mittwoch erforderlich, da kommt Freude auf!
Samstag ist Rüdigers Zittau-Aufenthalt schon wieder vorbei - es war für uns alle eine sehr schöne Woche. Er fährt mit Wolfgang nach Dresden und setzt seine Reise von dort Richtung Berlin fort. Wolfgang verbringt ein paar Tage mit Hauffe jun. in der Landeshauptstadt. Ich werde vom Pflegeteam gut versorgt. Tagsüber von Christine bzw. Markus und nachts ist seit langem Tom wieder mal bei uns. Biene tritt nachdem Herrchen nicht da ist, erstmal in Hungerstreik..., aber inzwischen hat sie sich doch umentschieden. Flecki ist sehr besorgt um mich und bringt uns zum Sonntagsfrühstück eine Maus in die Küche - brave Katze, mach dich bloß raus damit!!!
04. - 10. 07. 2011
Ich habe wieder einen ganz lieben Gästebucheintrag erhalten. Mir völlig fremde Personen nehmen an meinem Leben anteil und spenden mir Kraft. An dieser Stelle möchte ich einen herzlichen Gruß all denjenigen übermitteln und mich für ihr Interesse bedanken. Auch mein Pflegepersonal berichtet mir, dass Verwandte, Freunde und Bekannte von ihnen meine Homepage lesen, also auch an sie unbekannterweise viele liebe Grüße aus Eichgraben.
Hier kommt zum Montag aber jemand frohen Mutes zum Dienst - Cindy schaut Christine noch mal über die Schulter und ab Mittag beginnt ihr Urlaub. Wir wünschen ihr und ihrer Familie wunderschöne Ferien und gute Erholung. Christine steht nun bei meiner Betreuung auf eigenen Füßen und macht ihre Sache wirklich gut. Rüdiger meldet sich telefonisch, er wird nächste Woche zu uns kommen , denn jetzt sind für ihn Theaterferien. - Inzwischen ist es Sonntag und gegen 17.00 Uhr steht Rüdiger mit seiner Freundin Lea in der Tür. Große Freude bei uns, denn das letzte Mal weilte er Weihnachten in Eichgraben, so vergeht die Zeit... Lea und ich lernen uns nun auch persönlich kennen, Wolfgang konnte sie bereits bei seinem Besuch in Oldenburg kennenlernen. Sie studiert ebenfalls an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg Schauspiel. Bei lauem Sommerwetter sitzen wir auf der Terrasse und verspeisen Wolfgangs leckeren Kartoffelsalat. Ich "halte" es bis gegen 21.00 Uhr im Rollstuhl draußen aus, sodass mich der Nachtdienst erst ins Bett bringt. Ein wunderschöner Abend für mich bzw. uns!
01. - 03. 07. 2011
Ein bewegtes Wochenende steht bevor. Durch die Einarbeitung der neuen Pflegerin, was Cindy Freitag/Sonnabend durchführt, wird mehr Konzentration, Ausdauer und Geduld von uns allen dreien abverlangt. Aber Cindy arbeitet sie exakt ein und ich habe ein gutes Gefühl, dass Christine ab nächste Woche selbstständig meine Betreuung absichern kann. Mit Andreas führen wir ein ausführliches Telefonat. Alle 4 Hauffes sind gesund und munter, was im Hintergrund lautstark zu hören ist. Dadurch ist unsere Verständigung teilweise etwas schwierig. Am Sonnabend nahm Andreas mit dem Dresdner Chor "Chortissimo" http://www.chortissimo.de/ am Muldentalwettbewerb teil. In der Kategorie "Gemischte Chöre" erreichten sie den 1. Platz mit 22 von 25 möglichen Punkten. Herzlichen Glückwunsch den Sängerinnen und Sängern und ihrem Leiter Stephan Thamm - weiter so!
Die Einladung von Gundel und Peter zum Grillen fiel buchstäblich ins Wasser. Unkompliziert umgeplant, saßen wir dafür am Sonntagnachmittag bei uns im Trockenen und schleckerten Quarkkuchen, denn Cindy (mit mir) am Vormittag gebacken hatte. Draußen ist ein richtiges Sauwetter, weder Hund noch Katzen zieht es vor die Tür - schöner Julianfang, ich bin begeistert!