OKTOBER 2011

"Wer Tiere quält, ist unbeseelt und Gottes guter Geist ihm fehlt,
mag noch so vornehm drein er schaun, man sollte niemals ihm vertraun."

(Johann Wolfgang von Goethe)
24. - 31. 10. 2011
Wie vereinbart besuchte uns am Montag ein Vertreter von MK Medizintechnik Leipzig, um Genaueres zu dem körperangepassten Rollstuhl zu ermitteln. Besonders wichtig für mich ist dabei eine Kopfstütze, die meinen "Wackelapparat" komplett fixiert. In diesem Zusammenhang erfuhren wir, dass es zu diesem Zweck lediglich 2 verschiedene Kopfstützen gibt, welche beide in den USA produziert werden, natürlich sehr teuer! Grundsätzlich bewilligen die Krankenkassen diese Kopfstützen Wachkomapatienten. Ob nun geistig intakte "Wackelköpfe" von ALS-Erkrankten denen von Menschen im Wachkoma gleichzustellen sind - das ist hier die Frage!  Man darf gespannt sein, wie die Entscheidung ausfällt!!!
Meine Neurologin, die zum Hausbesuch kam, stellte mir bezüglich der invasiven Beatmung die Frage, ob ich meine Entscheidung zum Luftröhrenschnitt vom 27.04.2010 schon einmal  bereut bereut hätte. AUF KEINEN FALL !!! Man, was hätte ich da alles nicht miterleben dürfen: Rüdigers erfolgreichen Studienabschluss und sein Engagement am Staatstheater Oldenburg, die Geburt unseres 2. Enkel Moritz, unsere schönen Reisen nach Dresden und, und, und... Ich weiß, dass ich als ALS-Patientin mit dieser Einstellung eher eine Ausnahme bin. Doch warum sein wertvolles Dasein aufgeben, "nur" weil der Körper gelähmt ist. Solange der Geist wach ist und man eingebunden in einer intakten Familie leben darf, der Ehepartner zu einem hält und ein kompetentes Pflegeteam für einen sorgt (Pflegeheim wäre für mich schrecklich!) sollte man alles tun, um das Leben zu genießen.
Hinsichtlich der Ausstellung eines neuen Personalausweises kam alles anders als gedacht. Auf der Grundlage eines Rezeptes vom Hausarzt stellt das Einwohnermeldeamt ein amtliches Schreiben über die Befreiung zur Ausweispflicht aus. Einsparung für mich: 20 Euro (10 statt 30 Euro) und kein Passbild erforderlich. 
Meine Hoffnung nun wieder auf ein stabiles Pflegeteam zu setzen, erfüllt sich leider nicht. Nick, dem die Arbeit an und mit mir nicht leicht fiel, hat meines Erachtens die Chance aber auch die Ernsthaftigkeit der Probezeit nicht verstanden. Also sind wir erneut auf der Suche nach einer exam. Krankenschwester oder -pfleger. Für Hinweise bzw. Anfragen wäre ich sehr dankbar.
Am 28. Oktober 1995 war für unsere Familie ein sehr denkwürdiger Tag. Wir zogen hier nach Eichgraben in unser Eigenheim. Anfangs hatte ich immer das Gefühl, hier sei ich in Urlaub. Nun wohnen wir schon 16 Jahre in unseren eigenen 4 Wänden und fühlen uns sehr, sehr wohl. Aus Anlass dieses Ereignisses gönnten wir uns gemeinsam mit Tom ein Abendessen im "Alten Sprungturm" des Westparkcenters. http://www.westparkcenter.de/gastronomie.html  Es war ein schöner Abend mit leckerem Essen und dem Fluidum von Bowlingspiel und Tennis. Im Nachgang grübelte ich über folgendes Phänomen: Grundsätzlich wird für mich im Restaurant vom Bedienpersonal  keine Speisekarte mitgebracht. Nun stelle ich mir die Frage, welchen Beweggrund hat das. Assoziiert man mit Mensch im Rollstuhl und auch noch mit Atemschlauch gleich geistig behindert oder sieht man in mir eine Wachkomapatientin? Mich würden wirklich mal die Gründe interessieren. Im Gegensatz dazu habe ich es immer wieder erlebt, dass man meinem Vater im Restaurant eine Karte vor die Nase hielt, obwohl er seine Erblindung mit einem Blindenabzeichen am Revers anzeigte.

 
17. - 23. 10. 2011
Zum Montagnachmittag freuen wir uns über jugendlichen Herrenbesuch. Luis und Moritz sind einige Tage bei Schwiegeroma Kerstin, sodass sie alle einschließlich Corinas Schwester (Tante Kathi) mal bei uns sind. Leider beginnt Moritz zu kränkeln und wir müssen zusehen, wie sein Fieber ansteigt. Luis steht Mittwoch eine OP bevor, Entfernung der Gaumenmandeln. Bei ihm wurde festgestellt, dass er schlecht hört (bezogen auf die Ohren!?!), verursacht durch die Gaumenmandeln.
Beim Frühstück am Dienstag amüsieren wir uns über Schnurri, die mit voller Inbrunst mit Wolfgang schmiert. Dabei ahnt keiner von uns, dass wir danach nie wieder sehn. Drei Tage bleibt sie weg, dann findet sie Wolfgang völlig überfahren am Straßenrand. Genau an der Stelle, wo sie im Oktober vorigen Jahres angefahren wurde. Sehr traurig - sie war 4 Jahre alt. Nur gut, das wir Flecki und Biene noch haben.

"So wie ein Blatt vom Baume fällt,
ging unsre Schnurri von der Welt.
Die Straße war für sie zu schnell,
was übrig blieb war fast nur Fell.
Am Straßenrand sie Wolfgang sah,
uns Beiden war'n die Tränen nah."


Da ich noch keine Nachricht von der BKK habe bezüglich der Sitzschale für den Rollstuhl, frage ich per Mail an. Bereits am nächsten Tag erhalten wir telefonisch Auskunft. Der Antrag ist beim unabhängigen Gutachter in Berlin, der uns ebenfalls kontaktiert. Im Ergebnis ist alles bewilligt und am kommenden Montag sucht uns ein Vertreter eines Leipziger Sanihauses zum Maßnehmen auf. Schön für mich - bedauerlich für unser ortsansässiges Sanihaus, welches den Zuschlag nicht erhielt. Aber das ist eben Marktwirtschaft und für mich ich entscheidend, dass ich diesen körperangepassten Rollstuhl recht schnell bekomme. Z.Zt. ist es für mich sehr, sehr anstrengend, meinen Kopf und Körper in eine angenehme Position zu bringen. Für meine beiden neuen Pflegekräfte ist das jedes Mal eine besondere Herausforderung. Hier ist viel Übung notwendig und mich kostet es viel Geduld, die mich dann auch ab und zu verlässt.
Luis hat die OP gut verkraftet und wundert bzw. erschrickt bei verschiedenen Geräuschen. Auch Klein-Moritz geht es wieder besser.
Die Pflegefirma ZGD stellt die Patientendiokumentation auf papierlos um. Zu diesem Zwecke war der Pflegedienstleiter aus Dresden da, um das neue Programm auf den PC  aufzuspielen und eine entsprechende Einweisung für die Pflegekräfte vorzunehmen. Obwohl ich ja damit direkt nichts zu tun habe, finde ich diese Veränderung sehr positiv.


10. - 16. 10. 2011
Ach, wie wird die Woche schön...,
eine Neue muss bestehn.
darauf freue ich mich sehr...,
denn für mich ist's immer schwer.
Wäre froh, wenn's funktioniert
und das Team sich etabliert.
Einarbeitung fiele weg,
lebte leichter ohne Schreck!

Die Neue heißt Christina und wohnt in Friedersdorf. Nachdem sie Montag/Dienstag von Cindy eingearbeitet wurde, kann sie ab Mittwoch ihre Fähigkeiten beweisen. Naja, es holpert ganz schön und ich bin froh, dass ich sie verbal unterstützen kann. Anstrengend ist es trotzdem, sodass ich mich am Frühstückstisch bei meinen Männern (Wolfgang, Sebastian) erst mal ausheule. Aber, was soll's - es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Da muss ich durch...
Die Wundschwester hat sich am Mittwoch vom Heilungsprozess meines Dekubitus überzeugt und war sehr zufrieden. Donnerstag hatte Sebastian die Aufgabe mich hübsch zu machen, denn ich muss mich per Passbild verewigen lassen, da mein PA abläuft. Dankenswerter Weise kam der Fotograf zu uns und hielt mein Gesicht vom Bett aus fest. Wolfgang muss mit unserer alten Dame erneut den Tierarzt konsultieren. Biene hat vermehrt einen ziemlich deftigen Würgereiz, besonders nachts. Ursache sei ein vergrößertes Herz, dass auf die Lunge drückt. Zur Behandlung gibt's ne ganze Menge Tabletten, wie das eben im Alter so ist...
Die Nachricht der Fusion der BKK Gesundheit mit der DAK ist nicht gerade viel versprechend. Unsere Familie hat nach langjähriger Mitgliedschaft der DAK vor 10 Jahren den Rücken gekehrt.  Nun werden wir ungewollt zurück geführt - ich bin begeistert! Es wäre entgegen allen Regeln, wenn 2 angeschlagene Partner aus dem Zusammenschluss gestärkt hervor gehen. Schade, wir waren mit der BKK Gesundheit sehr zufrieden, ob das die künftige DAK Gesundheit weiter gewährleisten kann???

 
01. - 09. 10. 2011
Eine sehr ereignisreiche Woche liegt hinter uns. Ich werde wieder lange daran zehren. Doch der Reihe nach: Am 1. Oktober wäre mein Vater 98 Jahre geworden und gleichzeitig hätten meine Eltern ihren 62. Hochzeitstag gehabt. Wolfgang schafft Blumen aufs Grab. Ich werde derweil zum Ausgehen vorbereitet, denn am Abend steht bei mir Klassentreffen anlässlich des 40 jährigen Abiturs auf dem Programm. Gemeinsam mit Wolfgang und Sebastian fahren wir ins Klosterstübl. Dort haben sich insgesamt 23 von 30 Ehemaligen eingefunden. Es folgt ein sehr schöner Abend mit vielen interessanten Gesprächen. Ich halte es auch ziemlich lange aus. Kurz vor Mitternacht liege ich dann schließlich wieder in meinem Bettchen.
Am Mittag des nächsten Tages starten wir gemeinsam mit Cindy Richtung Dresden. Bis zum Donnerstag wollen wir die Residenz bevölkern. Auch Rüdiger lässt sich von der Deutschen Bahn AG von Oldenburg nach Dresden bringen. Super abgestimmt treffen Zug und unser Auto gleichzeitig ein. Bei warmer Witterung genießen wir ein Abendbrot im Kreise der ganzen Familie. Andreas & Co. sind auch mit von der Partie. Wir sitzen im Kneipenviertel Weiße Gasse.  Der Feiertag beginnt mit einem Familienfrühstück bei uns im IBIS-Hotel Bastei. Luis ist begeistert vom Angebot am Buffett und holt heran, was es zu holen gibt, ohne davon etwas zu essen. Das ist eigentlich gar nicht typisch bei ihm, denn Essen ist sein Leben. Ein Bummel zum Neumarkt im Anschluss macht den Tag bei strahlendem Sonnenschein perfekt. Leider muss uns Rüdiger am Abend wieder verlassen, da er bereits am Dienstagvormittag in Oldenburg als "Wolf" auf der Bühne steht. Doch zuvor speisen wir im Kugelhaus auf der Dachterrasse. Dieses Mal in größerer Runde, denn Cindys Familie ist gekommen, um die Mama abzuholen und Tom als Ablösung mitzubringen. Die folgende Nacht ist ziemlich aufregend, denn unsere Biene jault plötzlich vor Schmerzen und kann das Hinterteil nicht mehr bewegen. Wir befürchten  Schlimmes, nämlich die unheilbarbare Dackellähme. Morgens jedoch läuft sie wieder zwar langsam aber immerhin... Sie hatte ganz einfach vom ungewohnt vielen Laufen Muskelkater. Sind wir glücklich, dass es so glimpflich abging. Als wir am Dienstag die vergrößerte Altmarktgalerie unsicher machen, treffen wir gleich mal den Mittelherwigsdorfer Bürgermeister mit Familie. Abends sitzen wir beim Griechen auf der Prager Straße und ich versuche mich an gefüllten Weinblättern, allerdings essen die sich doch nicht so gut, wie ich dachte. Ich bevorzuge deshalb nur die Füllung. Zu meinem Geburtstag am Mittwoch bringt mir Josie persönlich Glückwünsche und einen großen Strauß Gerberra - wunderschön! Mit Wolfgang und Tom gelingt es uns bei Globetrotter für mich und den Rollstuhl samt Atemgerät ein Regencape zu bekommen. Da kann der Niederschlag mich nicht mehr ärgern, denn das Cape in Rot (!) deckt alles ab. Im übrigen ist Globetrotter ein wahres Erlebniskaufhaus, welches man sich ansehen sollte. Im 1. Obergeschoss lädt ein Wasserbecken mit Gegenstromanlage ein, Kanus auszuprobieren. Eine Kältekammer (gefühlte Temparatur bis -44 grd) sowie eine Regenkabine im 2. OG warten ebenfalls auf euren Besuch. Kurfürstlich sitzen wir abends mit jun. Hauffes in der gleichnamigen Schänke am Neumarkt. Unsere beiden Enkel futtern was das Zeug hält. Es ist eine Freude ihnen zuzuschauen. Nach einem ausgiebigen Frühstück am nächsten Morgen heißt es Sachen packen und ab Richtung Heimat. Kurz nach 14.00 Uhr erreichen wir unser Domizil und werden von Schnurri und Flecki begrüßt. Zu meiner Überraschung steht für mich vom Pflegeteam ein Geburtstagsgeschenk da. Vielen lieben Dank dafür.
Zeit zum Ausruhen bleibt auch zu Hause kaum, denn bereits am Freitag feiert mein Nachfolger im Chor seinen runden Geburtstag. So sind wir abends in Engemanns Gaststätte in Hirschfelde mittenmang unter ca. 30 Sängerinnen und Sängern. Bei leckerem Essen und zahlreichen Liedvorträgen des Chores müssen wir sehen, dass wir die Zeit nicht ganz vergessen, denn um 22.00 Uhr ist bei meinen Pflegern Schichtwechsel. Als wir wieder in Eichgraben eintrudeln, wartet Markus schon, um Nick abzulösen. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass meine Pflege seit diesem Monat von 20 h auf 24 h erhöht wurde, d.h. von der BKK bewilligt wurde. Dadurch wird jetzt im 3 - Schichtsystem gearbeitet von 8 - 15 Uhr, 15 - 22 Uhr und 22 - 8 Uhr, an Wochenenden und Feiertagen in 2 - Schichten jeweils von 8 - 20 Uhr und 20 - 8 Uhr.
Ab Sonnabend zieht nun etwas Ruhe ein und ich kann mich wieder intensiv dem PC widmen. Aus dem Fenster zu gucken, lohnt sowieso nicht, denn wir konnten das herrliche Wetter leider nicht mitbringen. Jetzt ist es in meinem Bett so richtig gemütlich. Wir telefonieren mit Andreas und beglückwünschen ihn zur Wiederwahl als Schatzmeister im Präsidium des Ostsächsischen Chorverbandes. Ein Ehrenamt mit relativ großem Zeitaufwand, aber Mutter und Vater haben es ja den Jungs vorgelebt...